Grundlinien
des Evangelischen Verständnisses
von Ehe und Trauung
1. Biblischer Hintergrund
Kasualien sind sowohl nach ihrem theologischen Verständnis als auch aus der
Perspektive der Gemeinde in ihrem Kern Segenshandlungen. Dabei markiert der
Segen jenes „Mehr“ an Zuspruch, Anerkennung, Hilfe, Trost und Begleitung, das die
Gesegneten sich nicht selbst sagen können.
Biblischer Ausgangspunkt des Segenshandelns Gottes ist der Schöpfungssegen, mit
dem natürliches Dasein bejaht und anerkannt, gerechtfertigt und in Anspruch genommen wird.
In diesen Schöpfungssegen sind Mann und Frau in ihrer verbindlichen Lebensgemeinschaft einbezogen.
Im Alten Testament zeigt sich der – oft im Gegenüber zum Fluch verstandene – Segen
Gottes konkret in allem, was das Leben entstehen lässt, es erhält und zum Gelingen
des Lebens beiträgt. Das hebräische Wort „barach“ hat die Grundbedeutung „beachten“ oder „sich zuwenden“. Segen meint also
die verlässliche Zuwendung des gütigen Gottes zum Menschen. So verspricht Gott
Isaak: „Ich will mit dir sein und dich segnen“ (Gen 26,3). Von Gottes Segen gehen Fruchtbarkeit, Heilung, Stärkung, Schutz
und Gewährung von Gemeinschaft aus. Und so kann sich Gottes Segen in einer großen Nachkommenschaft zeigen: „Und ich will
dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen,
und du sollst ein Segen sein“ (Gen 12,2). Allerdings erschöpft sich der Segen nicht im
Glück. Das zeigt sich etwa bei den Erzvätern, die auch als Segensträger nicht von Leiden
verschont bleiben. Auch wenn äußerlich wahrnehmbare Segensfülle ausbleibt, bleibt
ihnen Gott doch zugewandt. Die Zuwendung Gottes im Segen befähigt den Menschen zu
handeln und sich zu entfalten. Wem Gott im Segen Kraft, Zuversicht und materielle
Ressourcen schenkt, wird zugleich von Gott in Dienst genommen, mit seinen Gaben die
Welt verantwortlich zu gestalten. Der Segen Gottes zielt auf die Vollendung der Heilsgeschichte in der Verwirklichung von Gottes
Schalom (Num 6,26), dem die Empfänger und Träger des Segens im Glauben entgegengehen (vgl. Hebr 11).
Im Alten Testament gibt es keine Segenshandlung anlässlich einer Hochzeit. Die Ehe wird in erster Linie in einer rechtlichen
Perspektive thematisiert. Die entsprechenden Bestimmungen spiegeln die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse ihrer Entstehungszeit (vgl. Dtn 21,10–17; 22,13–19;
24,1–4; 25,5–10; Lev 18; 20). Die biblischen Texte dokumentieren die geschichtliche Bedingtheit und den Wandel der Ehe als
Rechtsform, ohne eine konkrete Sozialform vorzugeben. Die Ehe wird als Ordnung des
Zusammenlebens von Mann und Frau vorausgesetzt; eine Erzählung oder Erklärung, wie es zu dieser Institution gekommen ist,
findet sich in der Bibel jedoch nicht. Wie in der altorientalischen Umwelt sind auch in
Israel Vielehe und Einehe möglich. In der Regel lebt man in der Gemeinschaft mehrerer Generationen zusammen;
das Miteinander in der Großfamilie ist patriarchalisch strukturiert.
Der erste Schöpfungsbericht betont, dass
Gott den Menschen in der Polarität zweier
Geschlechter geschaffen hat (Gen 1,26–28).
Damit sind die Menschen von Anfang an
auf Gemeinschaft hin angelegt: Als sein
„Abbild“ sind sie Gegenüber Gottes. Als
Menschen weiblichen und männlichen Geschlechts sind sie einander partnerschaftlich
zugeordnet. Gemeinsam erhalten Mann und
Frau zwei Aufträge von Gott: Sie sollen die
ihnen anvertraute Welt verantwortlich gestalten (Vers 26 und 28b) und dafür sorgen,
dass diese Weltverantwortung in der Folge
der Generationen fortgesetzt wird (Vers
28a). Gott segnet die Menschen, das heißt, er
wendet sich ihnen zu und schenkt ihnen, was
sie zur Erfüllung seiner Aufträge brauchen:
„Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid
fruchtbar und mehret euch und füllt die
Erde …“
Auch in der Geschichte von Paradies und Sündenfall (Gen 2,4b ff.) sind Mann und Frau gleich ursprünglich,
gleich geachtet und gleichberechtigt. Im hebräischen Text ist zunächst von „ha-adam“, dem aus Erde (adamah)
Gemachten, die Rede. Erst als aus dessen Seite die Frau geschaffen ist, wird dieser zum Mann (hebräisch: isch).
Die Bemerkung in Vers 18a: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“ bekundet ein Verständnis des Menschen,
nach dem dieser in der Regel erst in der Gemeinschaft mit anderen seine Bestimmung erfüllt.
Die Folgerung in Vers 18b: „Ich will ihm eine Hilfe schaffen als sein Gegenüber“ thematisiert aber
nicht nur die Sozialität des Menschseins im Allgemeinen, sondern zielt auf die Gemeinschaft zwischen
Mann und Frau, in der alle menschliche Gemeinschaft ihren Kern und ihre Mitte hat. Das Wort „Hilfe“
signalisiert und intendiert keine Über- und Unterordnung; die Herrschaft des Mannes über die Frau wird
nämlich erst in Gen 3,16 und hier als Begleiterscheinung der Sünde dargestellt. In Gen 2,24 wird die Gemeinschaft
zwischen Mann und Frau näher beschrieben: „Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner
Frau anhangen, und sie werden ein Fleisch sein.“ Damit ist einerseits der Vorrang herausgestellt, den die Gemeinschaft
von Mann und Frau vor allen anderen Sozialbeziehungen hat, andererseits ihre unvergleichliche Intensität. Das Wort,
das Luther mit „anhangen“ übersetzte, heißt im Hebräischen so viel wie „kleben“ (dbq) und bringt die unwiderstehliche
Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern zum Ausdruck. Sodann entsteht aus der Gemeinschaft zweier verschiedener
Menschen etwas Neues. Ihre intensive Verbindung verwandelt die beiden, sie werden „eins“ und haben in der Fortzeugung
der Geschlechter Anteil am schöpferischen Geschehen.
Ein erster Beleg für einen Hochzeitssegen findet sich im apokryphen Buch Tobit: Raguel
„nahm die rechte Hand seiner Tochter und legte sie Tobias in die rechte Hand und
sprach: Der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs sei mit euch! Er gebe
euch zusammen und schenke euch seinen reichen Segen!“ (Tob 7,15)
Das Neue Testament nimmt das alttestamentliche Segensverständnis auf und füllt es christologisch. So fasst Petrus in Apg 3,26 das
gesamte Wirken Jesu folgendermaßen zusammen: „Für euch zuerst hat Gott seinen Knecht Jesus erweckt und hat ihn zu euch gesandt,
euch zu segnen.“ Im Neuen Testament steht für „segnen“ das griechische Wort „eu-logein“, was seinem Wortsinn nach „gut reden“ meint.
Das entsprechende Substantiv ist „eulogia“. Der griechische Begriff betont den Akt des Zuspruchs. Nach Eph 1,3 kann der in Christus
verbürgte Gottessegen auch als Wirkung des Geistes erfahren werden. Weil Christen berufen sind, „dass ihr den Segen ererbt“ (1 Petr 3,9),
sollen sie dementsprechend Böses durch Gutes überwinden: „Segnet, die euch verfluchen!“ (Lk 6,28) Wie im Alten Testament verbindet sich
also mit dem Zuspruch des Segens eine Beanspruchung durch Gott. Es ist bereits urchristliche Praxis, dass im Anschluss an die Taufe eine
Handauflegung erfolgt (Apg 8, 14–19), die in einem anderen Zusammenhang auch als Segensgeste bezeichnet wird (Mk 10,16). Die sehr
unterschiedlichen biblischen Dimensionen des Segens – nämlich kreatürliche, christologisch-heilsgeschichtliche und solche des Geistes –
sind in trinitarisch gefassten Segensformulierungen, die in der Kirche nach Ansätzen im Neuen Testament (Mt 28,19; 2 Kor 13,13) gebraucht
werden, miteinander verbunden und aufeinander bezogen.
Die Aussagen des Neuen Testaments zum Zusammenleben von Mann und Frau, deren Situationsbezogenheit ebenfalls deutlich erkennbar ist,
gründen in den biblischen Schöpfungsberichten. Sie sind geprägt vom zeitgenössischen Judentum und akzeptierten die Eheschließungsriten
ihrer Umwelt. Allerdings werden neue Akzente gesetzt.
Die ganzheitliche biblische Sicht des Menschen steht auch im Hintergrund der Worte Jesu über Ehescheidung und Ehebruch
(Mt 19,6 ff. und Mt 5,27 ff.). Jesus kritisiert radikal die zeitgenössische Scheidungspraxis und verweist demgegenüber auf
Gottes schöpferisches Wollen und Handeln. Im Einswerden einer Frau und eines Mannes erkennt Jesus ein Zusammenfügen Gottes,
durch das eine neue Wirklichkeit entsteht. Diese soll der Mensch nicht zerstören, sondern achten. Zugleich weiß auch Jesus um
die Möglichkeit des Scheiterns der ehelichen Gemeinschaft.
Die Erzählungen von Jesu Begegnungen mit Ehebrecherinnen (Joh 4,1 ff. und Joh 8,1 ff.) mahnen nachdrücklich zur Barmherzigkeit –
„Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“ (Joh 8,7) –, ohne dabei den ursprünglichen Willen Gottes zu relativieren:
„Geh hin und sündige hinfort nicht mehr“ (Joh 8,11).
Aufgrund von Anfragen aus der Gemeinde in Korinth nimmt Paulus Stellung zur Ehe (1 Kor 7,1–9). Es geht in der Ehe um volle leibliche
Gemeinschaft, und darum sollen Eheleute sich einander nicht entziehen. Die Ehe ist für Paulus die vom Schöpfer für diejenigen
eröffnete Möglichkeit, ihre Sexualität zu leben, die nicht – wie Paulus selbst - die Gabe der Enthaltsamkeit empfangen haben.
Die Ehe ist darum kein um jeden Preis anzustrebendes Ziel, bleibt aber im zeitlichirdischen Leben der gewiesene Weg, die besondere
Gemeinschaft zwischen Mann und Frau als gute Gabe des Schöpfers zu leben.
Die Gleichrangigkeit „in Christus“ nach Gal 3,28: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau“ hebt die Überordnung des Mannes und die Unterordnung der Frau (vgl. Gen 3,16) auf und hebt die gleiche Würde der Ehepartner hervor, wie sie nach Gen 2,18b ursprünglich intendiert ist. Wie alle Christen warten die Eheleute auf die neue Schöpfung Gottes. Sie sind Glieder am Leib Christi durch die Taufe, in der bereits das schmerzvoll Trennende – auch zwischen Mann und Frau – aufgehoben wird.
Die Haustafel des Epheserbriefes (Eph 5, 21 ff.) setzt die gesellschaftlich vorgefundene Ordnung des Hauses für die Beziehung christlicher Eheleute voraus. Die Besonderheit des Epheserbriefes besteht darin, dass in ihm das Verhältnis von Christus und seiner Kirche als Urbild einer vollkommenen Ehe und als Vorbild für das alltägliche Verhalten vor Augen gestellt wird. Dieses christologische Argument ist im Sinne einer echten Wechselseitigkeit zu verstehen: Wie die Frau dem Mann, so soll sich auch der Mann der Frau „wie dem Herrn“ unterordnen; und wie der Mann die Frau, so soll auch die Frau den Mann lieben, „wie Christus die Gemeinde geliebt hat“.
Der traditionell zu den Lesungen in einem evangelischen Traugottesdienst zählende Text Kol 3,12–17 zielt nicht unmittelbar auf Ehe und Partnerschaft, sondern spricht allgemein das Leben in der Gemeinde an. Als Getauften gelten jedoch auch christlichen Eheleuten die Mahnungen von Kol 3, sind doch Achtung und gegenseitige Vergebung Grundlagen des Zusammenlebens. Bedeutsam ist dabei die Begründung der Mahnungen: „Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!“ (V. 13) Christen können entsprechend handeln, weil sie selbst die Erfahrung der Vergebung, der Geduld, der Freundlichkeit usw. gemacht haben.