IV. Der Traugottesdienst
1. Die liturgische Gestalt
Der Traugottesdienst ist ein selbstständiger öffentlicher Gottesdienst mit Predigt, Gebeten, Gesang und Musik. Bei der Auswahl und Ausgestaltung dieser Elemente wird auf die Besonderheit der jeweiligen pastoralen Situation Rücksicht genommen. Der Traugottesdienst hat einen gleich bleibenden liturgischen Kern, der die wesentlichen Elemente des kirchlichen Handelns bei der Eheschließung enthält, wie sie sich seit der Reformation herausgebildet haben. Statt in einem selbstständigen Kasualgottesdienst können die Elemente des Trauritus auch in einen sonntäglichen Gemeindegottesdienst nach der Predigt eingefügt werden.
Der rituelle Kern
Nach Luthers Traubüchlein besteht das eigenständige kirchliche Handeln aus Gottes Wort und Gebet (Schriftlesungen und Segensgebet). Zu diesen zwei Kernstücken des Traugottesdienstes sind im Lauf der Geschichte weitere Gestaltungselemente der Eheschließung getreten, nämlich Fragen mit anschließendem Versprechen und durch Voten begleitete Gesten, die im gottesdienstlichen Kontext eine neue Bedeutung bekommen haben als Ausdruck der Anvertrauung durch Gott und der Bereitschaft zur christlichen Lebensführung. Somit gehören zum rituellen Kern des evangelischen Traugottesdienstes folgende vier Bestandteile in je unterschiedlicher Gewichtung: Traulesungen, Traufragen mit Trauversprechen, Traugesten und Trausegnung.
Seit Luther sind Traulesungen („Gottes Wort“), also bestimmte Schriftlesungen als Grundtexte für die Ehe von Getauften, konstitutiv für den Traugottesdienst.
Auf diese Lesungen nehmen die Traufragen mit dem Trauversprechen Bezug. Formal erinnern sie an die Erklärung des Ehekonsenses bei der standesamtlichen Eheschließung. Inhaltlich sind sie jedoch durch die vorangehenden Lesungen bestimmt.
Aus der kopulativen Eheschließung (= „Trauung“) stammende symbolische Traugesten wie Ringübergabe, Zusammenlegen der Hände werden im Traugottesdienst zum sinnfälligen Ausdruck der Anvertrauung durch Gott.
Die abschließende Trausegnung („Gebet“) ist seit Luther Besonderheit des Traugottesdienstes als einer kirchlichen Handlung. Für die aus Gebet und Segensformel bestehende Segnung sind unterschiedliche Ausformungen vorgesehen.
Die Gestaltung der Trausegnung
Traugesten und Trausegnung sind aufeinander bezogen. Das kommt in den drei Gestaltungsvarianten zum Ausdruck, die aus unterschiedlicher regionaler Überlieferung stammen und verschiedene Akzente setzen.
Bei der ersten Variante wird der „Anvertrauungsakt“ mit den entsprechenden Traugesten durch das Votum Mt 19,6 abgeschlossen. Darauf folgt der eigenständige Segnungsakt, der aus einer Gemeindefürbitte und der unter Handauflegung gesprochenen Segensformel besteht. Dieser Variante entspricht in dieser Agende bei der Ordnung für die Trauung die linke Spalte von FORM I (= FORM IA
).
Bei der zweiten Variante werden Traugesten und Trausegnung in der Weise verschmolzen, dass die Partner nach der Ringübergabe einander die Hand reichen. Nach einem kurzen Gebet folgt die Segensformel, bei der der Liturg oder die Liturgin die Hand auf die verbundenen Hände des Paares legt. Hier ist die Traugeste zugleich Segensgeste. Diese Variante wird in der rechten Spalte von FORM I (= FORM IB) wiedergegeben.
Die dritte Variante verzichtet ganz auf die bei Luther zur Eheschließung vor der Kirchentür gehörenden Traugesten und Voten und bringt zum Ausdruck, dass das, was die Kirche bei der Eheschließung zu tun hat, nicht eine „Trauung“ als kopulative Eheschließung ist, sondern eine Segnung nach schon erfolgter Eheschließung. Dieser Variante wird in FORM II entsprochen.
In dem Nebeneinander der drei Varianten kommen nicht nur verschiedene bisher übliche regionale Ausformungen zur Geltung, sondern auch bis jetzt nicht ausgeglichene unterschiedliche Konzeptionen des kirchlichen Handelns.
FORM IA behält die bei Luther zur Eheschließung vor der Kirchentür gehörenden Traugesten (Ringübergabe, Zusammenfügen der Hände mit Votum Mt 19,6) bei und versteht den Traugottesdienst als theologisch qualifizierte kirchliche Eheschließung, komplementär zur standesamtlichen Eheschließung.
FORM IB verknüpft Traugesten und Trausegnung so dicht miteinander, dass deutlich erkennbar die Eheleute in ihrer Gemeinschaft gesegnet werden. Auch hier ergibt sich das Erscheinungsbild einer durch den Segensgestus geistlich vertieften kirchlichen Eheschließung, komplementär zur standesamtlichen Eheschließung.
FORM II betont mit Luther die Segnung der Eheleute als die Besonderheit des evangelischen Traugottesdienstes. Deshalb werden die Traugesten aus der kopulativen Eheschließung nicht umgedeutet, sondern weggelassen, um zu vermeiden, dass das kirchliche Handeln als Überhöhung einer staatlichen Eheschließung und damit als eigenständige kirchliche Eheschließung verstanden werden kann. Je nach Situation kann auch auf das Trauversprechen verzichtet werden. Es entsteht dann eine verkürzte auf den Segen zentrierte Form.
Die Sakramente im Traugottesdienst
Die Trauung ist kein sakramentales Geschehen. Jedoch hat sich in neuerer Zeit zunehmend das Bedürfnis gezeigt, im Traugottesdienst das Abendmahl zu feiern, das als Sakrament der Communio mit Christus und mit den anderen Abendmahlsgästen zugleich eine Stärkung der Communio in der Ehe und in der Familie bedeutet.
Normalerweise findet der Abendmahlsgang derer, die den Trausegen empfangen haben, am Sonntag nach dem Traugottesdienst im Gemeindegottesdienst mit Abendmahl statt. Es gibt jedoch nicht nur praktische, sondern auch pastorale Gründe, Trausegnung und Abendmahl in demselben Gottesdienst zu feiern und den zum Traugottesdienst versammelten Angehörigen sowie den zum Freundeskreis des Ehepaars Gehörenden und den beruflich Nahestehenden Gelegenheit zu geben, sich im Abendmahl zu gemeinsamer Feier zu vereinen. Die Trauliturgie sieht vor, das Abendmahl nicht im Anschluss zu feiern, sondern in den Traugottesdienst fest zu integrieren.
Da aus vielfältigen Gründen die Zahl der Ehepaare zugenommen hat, die erst längere Zeit nach der standesamtlichen Eheschließung eine kirchliche Trauung begehen, sind vielfach schon Kinder vorhanden, so dass es nahe liegt, diese Kinder im Traugottesdienst zu taufen. Obwohl man – wie es etwa das „Taufbuch“ der EKU empfiehlt – mit guten Gründen erwägen kann, eine Taufe als Sakrament des Beginns grundsätzlich in den Eingangsteil des Traugottesdienstes einzufügen, erscheint es doch sinnvoll, im Fall einer Kindertaufe die Taufhandlung der Trauung folgen zu lassen. Die Ordnung für die Trauung sieht in diesem Fall vor, die Taufe nicht unverbunden im Anschluss an den Traugottesdienst zu feiern, sondern sie in den Traugottesdienst fest zu integrieren. Sollte dagegen im Traugottesdienst die Taufe eines der Ehepartner vorgesehen sein, so ist die Taufe im Eingangsteil des Traugottesdienstes, also vor der Trauung, sinnvoll platziert.