IV. Der Traugottesdienst
3. Die Traupredigt
Geschichtliches und Terminologisches
Nach reformatorischer Überzeugung werden rituelle Handlungen nicht ohne begleitende Schriftauslegung vollzogen. Es ist der sich im Wort vergegenwärtigende Herr selbst, der die Riten qualifiziert. Deshalb ist auch bei der liturgischen Feier anlässlich einer Eheschließung eine Predigt vorgesehen. Deren Gestaltung hat durch die Jahrhunderte ganz unterschiedliche Ausformungen gefunden. Das Spektrum reichte von reinen Bibeltextauslegungen über Themenpredigten (über Liebe und Ehestand) bis hin zu Lobreden auf das Hochzeitspaar. Diese Vielfalt spiegelt sich in den gebräuchlichen Begriffen „Traupredigt“, „Hochzeitspredigt“, „Trauansprache“, „Traurede“ u. a. wider.
Gesellschaftlicher Erwartungshorizont und thematisches Bezugsfeld
Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass viele Paare das kirchliche Zeremoniell wählen, weil die Kirche gegenüber dem Standesamt den weitaus stimmungsvolleren Rahmen bietet, um den mit der Eheschließung gewandelten Status öffentlich kundzutun. Pfarrerinnen und Pfarrer sind bei der volkskirchlichen Trauung deshalb in diesem Sinne nicht nur als Prediger gefragt, sondern auch als versierte Regisseure eines festlichen Rituals.
Das thematische Bezugsfeld, in dem die Traupredigt steht, gibt der Kasus vor: Es wird gottesdienstlich die auf Dauer angelegte und rechtlich bereits vollzogene Verbindung zweier Menschen mit Dank, Fürbitte, gegenseitigem Treueversprechen und Segen gefeiert. Berührt sind damit die Themen Ehe, Liebe, Sexualität, gemeinsame Zukunft, Glück, partnerschaftliche Lebensgestaltung und der Wunsch nach Kindern. All diese Themen sind einerseits mit Glückserfahrungen und Sehnsüchten besetzt. Andererseits sind sie gerade in Zeiten, wo das Scheitern von Beziehungen allgegenwärtig ist und traditionelle wie institutionelle Formen des Zusammenlebens einem starken Wandel unterliegen, mit Unsicherheiten, Ängsten und mitunter auch Skepsis verbunden. Dabei haben die meisten Paare die Erwartungshaltung, dass sie am „schönsten Tag im Leben“ nicht mit Krisenhaftigkeit und Scheitern konfrontiert werden, sondern ihr „Fest der Liebe“ möglichst traumhaft inszeniert wird. Dass sich die Traupredigt dieser Erwartungshaltung nicht ausschließlich verpflichtet weiß, sollte bereits beim Traugespräch angesprochen werden. Es ist dann die Aufgabe der Predigt, die ambivalenten Gefühle und Erwartungen sensibel aufzugreifen und den Weg in die Ehe aus christlicher Perspektive zu vergewissern.
Aufgabe und Inhalt
Die Traupredigt steht vor der Herausforderung, zum einen die christliche Sichtweise über die Verbindung zweier Menschen in der Ehe generalisierend darzulegen. Zum anderen muss die Traupredigt aber auch die Inhalte und Verheißungen des Evangeliums konkret auf die individuellen Lebenszusammenhänge des Hochzeitspaares und seiner Angehörigen beziehen. Fehlt dieser Bezug auf die Situation des Paares, wird die Predigt als abstrakt und unpersönlich empfunden.
Die Traupredigt hat somit einen seelsorglichen und freundlichen Grundtenor. Das schließt ein, die individuelle Situation ernst zu nehmen und wertzuschätzen, ohne dabei den Wünschen und Erwartungen der Hochzeitsgesellschaft ausnahmslos zu entsprechen. Die Aufgabe besteht darin, dem Paar auch in der Predigt ein Gegenüber zu sein und ihre mit Hoffnungen und Ängsten behaftete Situation am Beginn der Ehe in einer Weise aufzunehmen und zu deuten, die das Paar innerhalb seiner Lebenswelt als horizonterweiternd und hilfreich empfinden kann – und nicht als weltfremd, ärgerlich oder deplatziert.
Neben den am Kasus orientierten Themen hat die Traupredigt einen biblischen Text zur Grundlage. Der biblische Text konkretisiert den Zuspruch des Evangeliums und kann zu einem besonderen Haft- und Erinnerungspunkt werden. Meist wird der Trauspruch, seltener eine längere Perikope oder eine Erzählung ausgelegt. Die Wahl des Trauspruchs wird im Traugespräch abgestimmt. Ohnehin ist das Traugespräch eine wichtige Quelle zur Vorbereitung der Traupredigt.
Adressaten
Selbstverständlich ist das Ehepaar der primäre Adressat der Traupredigt. Allerdings ist die Traupredigt eine öffentliche Rede, bei der die Hochzeitsgemeinde als sekundärer Adressat stets mit angesprochen ist. Meist nehmen Eltern, Verwandte und Freunde das Gesagte ebenso intensiv wahr wie das Hochzeitspaar selbst. Auch sie sollen die Aussagen der Predigt auf ihre eigenen Partnerschaftserfahrungen beziehen können. Dabei ist darauf Rücksicht zu nehmen, dass Menschen darunter sind, die Scheidungserfahrungen haben und aus eigenem Erleben um das Zerbrechen von Beziehungen wissen. Ebenso sollten diejenigen durch die Predigt nicht verletzt werden, die nicht in einer Partnerschaft leben.
Auch wenn die Ausarbeitung einer den vorgenannten Kriterien gerecht werdenden Traupredigt Predigerinnen und Predigern nicht selten große Mühe bereitet, so lohnt diese Aufgabe doch. Die Traupredigt bietet nämlich im Gesamtgeschehen des Traugottesdienstes die Chance, in freier Rede zum Ausdruck zu bringen, dass nach biblischem Verständnis Gottes Segen auf der Ehe liegt und durch Höhen und Tiefen eines gemeinsamen Lebens zu tragen vermag. So kann die Predigt entfalten, was dem Ehepaar in der Trauhandlung rituell zugesprochen wird.