Grundlinien
des Evangelischen Verständnisses
von Ehe und Trauung
3. Die kirchliche Trauung im Lauf der Geschichte
Für das Verständnis und die Gestaltung des christlichen Traugottesdienstes ist es hilfreich, seine durch Kontinuität und Wandel
geprägte Vorgeschichte zu kennen, zumal es wie beim Bestattungsgottesdienst keine normativen Vorgaben der biblischen
Überlieferung gibt, die bei der Ausformung liturgischer Ordnungen für die Trauung zu beachten wären. Beim kirchlichen
Handeln zur Eheschließung lassen sich folgende Entwicklungsstufen unterscheiden:
Weltliche Eheschließung mit kirchlicher Begleitung
Im frühen Mittelalter kam im Bereich der lateinischen Kirche eine Ehe innerhalb der Sippe und Familie in folgender Weise zustande:
Die Brautleute sprachen den Ehekonsens vor dem Vater oder Vormund aus (römischrechtliche Tradition), und der „Muntwalt“ nahm durch
Zusammenfügung der Hände des Brautpaars („Kopulation“) die „Umsippung“ vor (deutschrechtliche Tradition). Die kirchliche
Begleitung bestand zunächst in der Prüfung der Ehehindernisse durch den Priester. Im Lauf der Zeit übernahm dieser auch die
Funktion des Oberhaupts der Sippe und Familie (Konsens und Kopulation). Der Brautnacht folgte am nächsten Tag die Benediktion
(Brautsegen) in der Kirche (vgl. Nibelungenlied, 10. Aventure).
Kirchliche Eheschließung in zwei Akten
Im späten Mittelalter übernahm die Kirche zunehmend die Gestaltung des öffentlichen Aktes der Eheschließung in der Weise,
dass nach einem vorgängigen Aufgebot in der Kirche eine öffentliche Eheschließungszeremonie vor der Kirche („Brautpforte“)
stattfand. Dabei erfolgte Konsenserfragung, Ringübergabe und Zusammenfügung der Hände (Kopulation) durch den Priester. Dann
folgte in der Kirche die Benediktion (Brautmesse).
Theologisch profilierte Eheschließung in zwei Akten
Die Reformation (Luther, Traubüchlein 1529) übernahm die Form der zweiaktigen Eheschließung als volkssprachliches Ritual:
„Trauen“ vor der Kirche (mit Konsenserfragung, Ringübergabe und Kopulation durch den Pfarrer) und „Segnen“ in der Kirche.
Jedoch wurde das kirchliche Handeln biblisch-theologisch neu qualifiziert: Das Aufgebot wurde mit dem Aufruf zur
Gemeindefürbitte verbunden; der Kopulationsritus endete mit dem Jesuswort aus Mt 19,6; und dem Segensgebet gingen
biblische Lesungen als Begründung und Zuspruch voraus.
Traugottesdienst mit integrierter Eheschließung
In Süd- und Mitteldeutschland wurde schon im 16. Jahrhundert der Eheschließungsakt in die Kirche verlegt und mit dem
Segnungsakt verbunden. Die den biblischen Lesungen folgenden Konsensfragen wurden nun zu den Lesungen in Beziehung
gesetzt und inhaltlich erweitert als Fragen nach der Be- reitschaft zu einer christlichen Eheführung. Die übrigen Elemente
der kopulativen Eheschließung (Ringübergabe, Kopulationsgesten) blieben unverändert.
Kirchliche Trauung als Eheschließung kraft eines staatlichen Mandats
Am Ende des 18. Jahrhunderts (Preußisches Allgemeines Landrecht von 1794) nahm der Staat den kirchlichen Traugottesdienst
für die Durchführung der kopulativen Eheschließung in Anspruch, indem er der Kirche ein entsprechendes Mandat erteilte.
Dabei bildeten Lesung und Gebete den religiösen Rahmen. Der Schwerpunkt lag damit nicht mehr auf der Segnung, sondern auf
der „Trauung“, was in dem seither üblichen Sprachgebrauch „kirchliche Trauung“ zum Ausdruck kommt. Das Paar kniete zu den
Kopulationsgesten, nicht mehr zur Segnung.
Staatliche Eheschließung getrennt vom kirchlichen Traugottesdienst
Die Einführung der Zivilehe 1875 nahm der Kirche die Befugnis zur Durchführung der Eheschließung. Da der Staat jedoch die
Bezeichnung „Trauung“ und die kopulativen Trauriten nicht beanspruchte, behielt die Kirche Gestaltungselemente, die bisher
für den Eheschließungsakt typisch waren. Der Traugottesdienst wurde daher weithin als religiös akzentuierte Intensivform
einer Eheschließung empfunden. Die schon im 16. Jahrhundert erfolgte Kombination der Konsensfragen mit Verpflichtungsfragen
für das Leben in der Ehe kann als Ansatzpunkt für diese Konzeption angesehen werden.
Der Traugottesdienst als Segnung der geschlossenen Ehe
Bei der Revision der Trauagenden nach dem Zweiten Weltkrieg wurde – neben der Verkündigung des Wortes Gottes – die Segnung
der auf dem Standesamt geschlossenen Ehe als Charakteristikum des kirchlichen Handelns deutlicher als bisher herausgestellt
und als besonderes Element der Trauliturgie ausgestaltet. Gleichzeitig wurden die beibehaltenen kopulativen Elemente der
kirchlichen Trauung neu gedeutet als Anvertrauung durch Gott. Die standesamtliche Eheschließung erhielt auf diese Weise
im kirchlichen Traugottesdienst eine geistliche Qualifizierung.
Die Aktualität der geschichtlichen Vorgaben
Der Überblick über die geschichtliche Entwicklung zeigt, dass bestimmte Elemente der Trauliturgie (Traulesungen, Traufragen,
Traugesten und Trausegnung) sich bis in die Gegenwart als „ritueller Kern“ des evangelischen Traugottesdienstes durchgehalten
haben. Andererseits ist das Verhältnis zwischen weltlichem und kirchlichem Handeln bei der Eheschließung immer wieder durch
Vermischung und Abgrenzung geprägt worden und hat als ständig wirksames Problem Anstöße zu strukturellen Veränderungen gegeben.
Der Durchgang macht auch deutlich, dass und wie sehr die Ehe ein „weltlich Ding“ ist. Eben diese Einsicht befreit die Kirche
zu einem offenen und gelassenen Umgang mit neuen Herausforderungen unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen. Wenn
Christen heiraten, treten sie ein in die weltliche Institution Ehe. Im Traugottesdienst erbitten sie Gottes Segen, um in ihrer
Ehe miteinander unter der Zusage der Gnade Gottes zu leben, und versprechen, sich als Spiegel der Liebe Gottes in Anspruch nehmen
zu lassen.