Grundlinien
des Evangelischen Verständnisses
von Ehe und Trauung

2. Die Ehe nach Evangelischem Verständnis

Christliches Verständnis wertet die Ehe als eine personale Gemeinschaft einer Frau und eines Mannes. Sie gründet in der Liebe und im Vertrauen, die die Eheleute einander entgegenbringen. Als ganzheitliche Gemeinschaft zielt sie auf Treue und Dauerhaftigkeit des Zusammenlebens in gegenseitiger Verantwortung. Die so verstandene eheliche Gemeinschaft schließt es aus, die Ehe als zeitlich begrenzten Vertrag einzugehen. Sie wird durch die freie Entscheidung der Partner füreinander begründet; rechtliche und institutionelle Ordnungen dienen ihrem Schutz nach innen und außen. Die evangelische Kirche begrüßt den Schutz von Ehe und Familie in der Verfassung und Gesetzgebung des Staates.

Die Gemeinschaft von Frau und Mann verwirklicht sich in der Ehe als volle Lebensgemeinschaft. In ihr nehmen und geben die Ehepartner gegenseitig Teil an ihrem Leben mit seinen Aufgaben, mit Erfolgen und Misserfolgen, mit Freude und Leid. In ihr verhelfen sie einander zu persönlicher Entfaltung und Lebenserfüllung – auch durch die verantwortliche Gestaltung ihrer Sexualität, die zur Freude aneinander beiträgt. In alldem bewährt sich die eheliche Treue.

Mann und Frau, die sich in einer Ehe verbinden, flechten das Netzwerk von familialen Lebensformen weiter, dem sie selber ihr personales Dasein verdanken und die mit ihrer Offenheit für die Weitergabe menschlichen Lebens Grundlage für den Bestand und den Erhalt der Gesellschaft sind. Ihre Ehe als verlässliche Partnerschaft ist ein belastungsfähiger Rahmen, in dem Verantwortung für Schutz- und Pflegebedürftige wahrgenommen werden kann. Indem sie Kindern einen Schutzraum für ihr Aufwachsen bieten sowie pflege- und zuwendungsbedürftigen Älteren Zeit und Kraft schenken, bewähren Eheleute die gebotene Verantwortung zwischen den Generationen. Zugleich wird die Ehe gelebt in einem reichen Gefüge unterschiedlicher Beziehungen privater, beruflicher, kirchlicher und sonstiger Art, das die Eheleute einerseits mitgestalten und auf das sie andererseits angewiesen sind.

Christen leben auch in ihrer Ehe unter der Verheißung des Evangeliums und unter dem Liebesgebot, das in der Liebe Gottes gründet. Nach evangelischem Verständnis macht sichdie Ehe an der Hoffnung fest, dass die Eheleute bleibende wechselseitige Treue in Verantwortung füreinander und die ihnen Anvertrauten halten können, und zehrt von Liebe und Vertrauen, welche die Eheleute einander erweisen. Das eine wie das andere wird durch die Bitte um den Segen Gottes im Traugottesdienst symbolisch dargestellt.

Angestoßen durch die Übersetzung des griechischen „mysterion“ in Eph 5,32 („Das Geheimnis ist groß“) durch das lateinische „sacramentum“ in der Vulgata, entstand in der Frühscholastik die Lehre, dass die Ehe ein Sakrament sei. Die Reformatoren haben diese Auffassung verworfen – mit bleibendem Recht, selbst wenn ihre Kritik ihren deutlichen Zeitbezug in der Ausdehnung und dem Missbrauch kirchlicher Ehegerichtsbarkeit gehabt haben mag. Die Ehe ist „als ein göttlich Werk und Gebot“ gleichwohl „ein weltlich Ding“ ohne Heilswirksamkeit, freilich ein zentraler Ort für die Bewährung des Glaubens in Liebe und Hoffnung, an dem christliche Eheleute die Mahnungen des Apostels beherzigen werden: „So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Über alles aber ziehet an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit“ (Kol 3,12–14).

Der Glaube an die Treue und Gnade Gottes befähigt und stärkt die Eheleute zu gegenseitiger Liebe, Geduld und Vergebung. Aber „in der noch nicht erlösten Welt“ (Barmen V) kann Zuneigung in Ablehnung, Liebe in Hass, Lust in Verletzung und die Wohltat der Ehe in Unmenschlichkeit verkehrt werden. Wenn dies in einer Ehe unumkehrbar geworden ist, ist es – um der Würde der Beteiligten willen – nicht geboten, die Ehe aus prinzipiellen Gründen unter allen Umständen aufrechtzuerhalten. Dann ist nach evangelischem Verständnis eine Scheidung möglich.